Meine Halbzeit


Genau heute ist die Hälfte meiner Zeit im Freiwilligendienst in Sambia um. Vor 168 Tagen bin ich in Lusaka gelandet, um das wohl aufregendste Jahr meines bisherigen Lebens zu beginnen; und in 168 Tagen heißt es Abschied nehmen und meine lange Heimreise antreten.

Zum Anlass des heutigen Tages möchte ich Euch mit auf eine kleine Reise nehmen, eine Reise durch meine Gedanken- und Gefühlswelt.
Wie ich schon vor einigen Wochen im Zwischenseminar festgestellt habe, ist es gar nicht so leicht, die bisherige Zeit im Projekt zu evaluieren und versuchen herauszufiltern, ob die positiven oder die bedrückenden Gefühle in Bezug auf die Halbzeit überwiegen. Das lässt sich sowohl darauf beziehen, dass ich nochmal genau so lange hierbleibe – und damit genau so lange weg von meinem zu Hause – aber auch, dass ich schon ab morgen weniger Zeit in Sambia vor mir habe, als hinter mir und man sich schon bald von allen und allem hier verabschieden muss.
Schließlich hat sich hier ein ganz neues Leben für mich aufgebaut, anfangs fremde Menschen sind zu so etwas wie einer Familie geworden und ich selbst bin mit und an völlig neuen Aufgaben gewachsen und gereift. Das alles einfach so hinter mir zu lassen und wieder in mein altes Leben (was sich aber auch stark verändern wird und damit ziemlich ungewiss ist) zurück zukehren wird vermutlich ein größerer Schritt als es damals war, hierher zu kommen. Denn schließlich habe ich letzten September mein zu Hause nur für ein Jahr verlassen, während es hier ein „Auf Wiedersehen“ für mein restliches Leben wird. Auch wenn ich in Zukunft öfter mal Urlaub hier mache (was ich auf jeden Fall plane) wird es nie wieder so sein, wie es jetzt ist. Und das macht dieses Jahr so besonders, weil es eben nur dieses eine Jahr ist.

Dieses Thema beschäftigt mich auch immer wieder während meiner Zeit hier: Was ist eigentlich ein Jahr?

Mit meinen jungen achtzehn Jahren kam mir ein Jahr immer so unglaublich lang vor und ich stelle auch jetzt oft fest, dass es das manchmal auch ist. Auf der anderen Seite ist am Ende meines Lebens ein Jahr nur ein kleiner Bruchteil. Was ist an einem Weihnachten ohne die Familie so schlimm, wenn man die siebzehn Weihnachten davor und vermutlich die zehn danach genau gleich mit eben dieser Familie feiert? Und wird es jemals einen Zeitpunkt geben, an dem ich mich ärgere, dass ich dieses Jahr nicht Skifahren gehen konnte oder in Köln war um Karneval zu feiern? Vermutlich nicht!

Also ein Jahr ist nun eigentlich wirklich nicht so viel und trotzdem werde ich mich an dieses spezielle Jahr mein Leben lang erinnern; das wird mir immer bewusster, umso mehr Zeit ich hier verbringe.

Trotzdem blicke ich meiner Rückreise nach Deutschland schon entgegen und der Gedanke wieder in mein gewohntes Umfeld zurück zukehren zaubert mir immer ein Lächeln ins Gesicht. Denn auch wenn es mir hier in Sambia sehr gut geht und ich mich wohl fühle gibt es natürlich Ungewohnheiten, Herausforderungen und Eigenarten, die man auch nach fast sechs Monaten noch nicht versteht oder verstehen will. Man muss wohl hier aufgewachsen sein, um mit allem klar zukommen, was die sambische Mentalität so bereit hält.

Als erstes ist da wieder das Thema eine weiße Person unter vielen Schwarzen zu sein; aber dazu habe ich ja schon einmal geschrieben.
Eine andere Herausforderung ist vor allem auch die sambische Erziehungsweise. Natürlich wachsen in einer so anderen Kultur die Kinder auch ganz anders auf. Was auf der einen Seite eine wirklich tolle Inspiration ist, die einem ganz andere Sichtweisen auf viele Dinge gibt; auf der anderen Seite betrifft das aber auch mich in direkter Weise, da ich schließlich mit Kindern zusammen arbeite.
Es ist nämlich gar nicht so leicht eine dreißig-köpfige Horde von fünf-Jährigen ruhig zu halten, wenn sie es gewohnt sind mit Schlägen bedroht zu werden und körperlich bestraft zu werden. Wer lässt sich dann noch von einem harmlosen „Sonst bekommt ihr mehr Hausaufgaben“ einschüchtern? Dazu kommt natürlich auch noch, dass ich zwar für alle Kinder eine Autoritätsperson bin, aber alle Lehrer (und Steph zu Hause im Boardinghouse) über mir stehen und daher nicht immer alles zählt, was ich sage.
Das ist wahrscheinlich – in Bezug auf meine Arbeit im Projekt – die größte Herausforderung: Als nicht ausgebildete Pädagogin aus einer völlig fremden Kultur an der Erziehungsarbeit und am Alltag mit Kindern mitzuwirken. Aber genau deswegen habe ich mich für einen Freiwilligendienst in Afrika entschieden, und genau deswegen fühle ich mich auch trotz aller kulturellen Unterschiede so wohl hier.

Ich kann alles in allem also mit Stolz behaupten, dass ich mich auf die kommende Zeit in meinem Projekt, meinem sambischen zu Hause und mit den Leuten, die mir wichtig geworden sind, freue. Für mich persönlich habe ich ein richtiges Mittelmaß zwischen dem neuen Leben hier, meiner deutschen Familie und Freunden und meiner Zukunft in Deutschland gefunden, was mich immer wieder glücklich macht.

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