Das sambische Schulsystem
Was
ist 9+6? Die Antwort ist ganz klar: 15! Wer von euch musste wirklich
rechnen, statt die Antwort einfach zu wissen? Und wer hat beim
Rechnen die Finger benutzt? Wahrscheinlich niemand; das haben wir ja
schließlich schon in der Grundschule in und auswendig gelernt! Und
wie ist das in Sambia?
Sambia
liegt in Afrika, „dem Kontinent mit der Armut, Hungersnot und der
schlechten Bildungsquote“... Hier mal ein paar Zahlen, um einen
ersten Eindruck zu bekommen, wie Bildung und Schule in Sambia
aussieht:
Analphabetenquote: Sambia:
18,5% Deutschland: 0,7%
Schulpflicht: Sambia:
7 Jahre Deutschland: 12 Jahre
Anzahl
Universitäten: Sambia: 8 Deutschland: 426
Einwohner
pro Uni: Sambia: 2,13Mio Deutschland 194.000
Das
sieht natürlich alles nicht so wirklich gut aus; aber nach einigen
Monaten Einblick in das Bildungssystem hier konnte ich mir ganz gut
ein eigenes, nicht nur zahlenbasiertes, Bild machen. Dieses Bild ist
natürlich sehr subjektiv und vor allem ist mein Blickwinkel nicht
professionell.
Sambische
Kinder haben alle das Recht eine Grundschule, also die erste bis
siebte Klasse, zu besuchen, ohne dabei Schulgebühren zahlen zu
müssen. Ab der weiterführenden Schule (achte bis zwölfte Klasse)
werden dann aber Kosten anfällig, und für die Universitäten dann
sowieso. Wie auch in Deutschland gibt es sowohl staatliche, als auch
private Schulen; nur ist der Unterschied wesentlich größer. Da die
Kasama International School so etwas wie eine Privatschule ist (es
ist eigentlich etwas komplizierter, aber die Qualität ist mit der
einer privaten Schule zu vergleichen), kann ich von der Seite
natürlich etwas besser berichten. An staatlichen Schulen sind die
Klassen viel größer, Material ist nur kaum vorhanden und es wird
oft in der lokalen Sprache unterrichtet, so dass nicht alle, die zur
Schule gegangen sind, automatisch englisch können.
An
der KIS sind ungefähr 15 bis 30 Kinder in einer Klasse, in den
Schulgebühren sind Bücher, Hefte und Stifte enthalten und der
Unterricht findet in Englisch statt. Klingt ja alles schon einmal
viel besser...
Leider
sehe ich trotzdem fast täglich Sachen, die mich schockieren oder
mich traurig machen. Die meisten Kinder an der KIS fangen schon an im
Kindergartenalter – in der Vorschule also – Lesen und Schreiben
zu lernen. Die meisten Kinder können also zu Beginn der ersten
Klasse wesentlich mehr, als die Erstklässler bei uns können. Doch
auf der anderen Seite ist die individuelle Förderung, trotz der
kleinen Klassen, leider sehr gering. So dass Kinder, die
Lernschwächen haben oder vielleicht einfach zu früh eingeschult
wurden, kaum die Möglichkeit haben aufzuholen. Eine Klasse
wiederholen steht auch nicht in Frage, da das meistens natürlich die
Eltern nicht wollen und auch dem Ruf der Schule nicht wirklich gut
tut. So fallen besagte Schüler immer weiter zurück und oft ist auch
die Unterstützung von zu Hause nicht so groß.
Wir
hatten letztes Jahr zum Beispiel einen Schüler hier im Boardinghaus,
der mit zwölf Jahren fast der älteste war, aber kein Wort lesen
kann oder das kleine ein mal eins nicht beherrscht. Er ist kein
Boarder mehr, geht aber immer noch auf die KIS, inzwischen in die
siebte Klassen, und vertreibt sich seine Zeit mehr mit Fußball
spielen statt lernen. Seit Januar sind auch zwei neue Schüler in der
siebten Klasse, die sechzehn und neunzehn Jahre alt sind. Der Jüngere
kommt bei allem ganz gut mit und wird seinen Grundschulabschluss
dieses Jahr nachholen können; der Ältere allerdings kann auch nicht
lesen und schreiben, geschweige denn rechnen. Ich habe ihm vor zwei
Wochen erklären müssen, dass fünf mal drei bedeutet, dass man fünf
plus fünf plus fünf rechnen muss. Und wie es scheint, bin ich die
einzige unter den Lehrern, die sich während des Unterrichtens die
Mühe macht individuelle Aufgaben zu verteilen. Normalerweise
schreiben diese Schüler nämlich alles von der Tafel oder den
Mitschülern ab, ohne auch nur ein kleines bisschen zu verstehen.
Seit
dem ich jetzt auch mal einen Einblick in die höheren Klassen
bekommen habe (mehr dazu morgen) kann ich sagen, dass die
Grundfähigkeiten, Lesen, Schreiben und besonders Rechnen wesentlich
weniger vorhanden sind, als bei uns in der sechsten bis siebten
Klasse. Dazu kommt noch, dass die Schüler hier von der ersten Klasse
an auch nachmittags Unterricht haben und damit wesentlich mehr
Wochenstunden als bei uns. Doch woran liegt es, wenn die Erstklässler
hier weiter sind als bei uns in Deutschland? Das habe ich mich immer
und immer wieder gefragt, und kann da natürlich keine professionelle
Antwort drauf geben, aber die ein oder andere Theorie aufstellen.
Das
größte Problem ist, denke ich, dass der Lehrplan und die Struktur
in der Grundschule anders gewichtet ist, als bei uns. Ja, wir haben
auch Sachkundeunterricht, Musik und Kunst und weitere Nebenfächer in
der Grundschule, aber es handelt sich um wesentlich weniger Stunden,
als die Hauptfächer. Das ist hier etwas anders: Es gibt nicht nur
Sachkundeunterricht, sondern das ist in Social Studies
(Sozialwissenschaften) und Science (Wissenschaften) aufgeteilt.
Während bei uns also die Hauptfächer gepaukt werden – und das im
Grunde bis zur Oberstufe – ist die Stundenverteilung hier nicht so
fokussiert.
Dazu
kommt, dass das Niveau (oft besonders in den Nebenfächern) nicht
unbedingt an das der Schüler angepasst ist. Das bedeutet: viel
Abschreiben von der Tafel und dem Lehrer Nachsprechen, obwohl die
Kinder selbst kaum lesen können oder verstehen, was sie da
eigentlich sagen. Dazu mal ein Beispiel:
Vor
ein paar Wochen war ich kurz in dem Klassenraum der ersten Klasse.
Das Thema gerade war: Regeln in der Schule, was für jede
Altersgruppe wichtig ist, aber an der Tafel stand Folgendes:
„Homework – Explain your rights in school and your duties as a
pupil“ (Hausaufgabe: Erläutere deine Rechte in der Schule und
deine Pflichten als Schüler).
Man
muss keine ausgebildete Pädagogin sein, um sich vorstellen zu
können, dass diese Aufgabe für Kinder, die nicht wissen wie man
richtig liest und schreibt, etwas zu schwierig ist.
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